„MENSCHENFRESSER“ heißt das neue Album von Rawside. Fünf Jahre nach dem wahrscheinlich persönlichsten Album „Your Life Gets Crushed“ gibt es neue Songs der Hardcore-Punks aus Coburg. Songs, die wieder politischer, wütender und angriffslustiger sind. Das liegt vor allem daran, dass die Zeiten sind, wie sie sind und dass Sänger Michael „Henne“ Henneberger einen Riesenhaufen persönlicher Probleme aus dem Weg geräumt hat. Deshalb haben Rawside jetzt wieder die politischen Gegner und die Probleme unserer Zeit ins Visier genommen. Hört man den Begriff „Menschenfresser“, denkt man sofort an die berühmte Geschichte von Robinson Crusoe oder an den gleichnamigen Song von Rio Reiser aus dem Jahr 1986. Das waren aber nicht die Gedanken, die hinter dem Albumtitel und dem Titelsong strecken. „Uns geht es eher um emotionalen Kannibalismus. Um den psychischen Druck, der ausgeübt wird. Wie Menschen sich verhalten, wenn sie versuchen, sich ihren eigenen Vorteil zu verschaffen. Oder Menschen, die denken, sie wären der Mittelpunkt der Welt. Wenn nur noch die Ellbogen ausgepackt werden. Das ist die Definition von Menschenfresser, die wir meinen“, erklärt Henne. Die 13 neuen Songs von Rawside verpassen all den Arschlöchern da draußen eine volle Breitseite. Egal, ob es um selbsternannte Verschwörungstheoriker („Der Blitz“), ungebremste Kapitalisten und Karrieristen („Dreh Dich mal um“), fromme Katholiken („Sinner“) oder um hemmungslose Nutzer von sozialen Medien („Medioten“) geht. Rawside werden nicht müde, den Finger in die Wunde zu legen und sich mit korrupten Wirtschaftsbossen, rechten Politikern oder stumpfen Wutbürgern anzulegen. Es gibt aber auch fast schon apokalyptische Songs wie „Gammaburst“ oder „When The Ship Goes Down“, die den Untergang des Planeten und der Menschheit in den Fokus rücken. „Die Therapiestunde ist vorbei. Die neue Platte behandelt zwar auch wieder sehr persönliche Themen, lässt aber auch wieder mehr Wut raus und verarbeitet Eindrücke, die auf mich einprasseln. All die Spalterei, aber auch was szeneintern so passiert“, sagt Henne, der auch die Konfrontation mit der eigenen Bubble nicht scheut. Offenheit und Ehrlichkeit sind ihm unheimlich wichtig, gerade wegen seiner eigenen Geschichte. Deshalb hat er auch keine Scheu, seine Gefühle in so persönliche Songs wie „Zu Grabe getragen“ oder „Auf der Flucht“ zu packen. Songs, in denen er persönliche Abschiede oder sein Mitgefühl für Flüchtende verarbeitet. Musikalisch haben es sich Rawside in der Besucherritze zwischen Hardcore, Metal und Punk bequem gemacht. Die Wucht der Songs hat seit dem letzten Album „Your Life Gets Crushed“ ein neues Level erreicht. Das liegt vielleicht auch an der Frischzellenkur in der Besetzung. Henne ist das einzig verbliebene Gründungsmitglied nach mehr als 30 Jahren Bandgeschichte. Seit Sohn Justin, der am Schlagzeug sitzt, ist gerade mal 23 Jahre alt. „Rawside ist zum Glück keine One-Man-Show“, sagt Henne. „Das waren wir nie und wollen wir auch nicht sein. Ich bin auch musikalisch, abgesehen vom Singen, echt scheiße. Ich kann weder Gitarre noch Schlagzeug spielen. Ich bin also auf die Musiker in meiner Band angewiesen. Das macht mir auch Riesenspaß, denn die unterschiedlichen Musiker bringen auch immer wieder unterschiedliche Einflüsse in die Band. “Aufgenommen haben Rawside im Kohlekellerstudio in der Nähe von Darmstadt mit Hilfe von Kai Stahlenberg (Powerwolf, Hämatom, Japanische Kampfhörspiele). Nach den beiden Vorgängern „Widerstand“ (2010) und „Your Life Gets Crushed“ (2019) haben die Coburger außerdem ihr altes Label verlassen und beim Loikaemie-Label Fettfleck Records angeheuert. „Für uns war es ein Schritt in Richtung Selbstverantwortung“, erklärt Henne. Bei Fettfleck sind wir in alle Prozesse eingebunden. Und das ist doch die Idee, die hinter dem ganzen Punk- und Hardcore- Gedanken steckt. Das ist die Philosophie, die wir leben wollen, auch wenn wir jetzt alte Säcke sind.“ Rawside sind und bleiben auch nach über 30 Jahren Bandgeschichte ein Grundpfeiler der deutschen Punkszene. Eine Band, die sich nicht den Mund verbieten lässt, keine Konfrontation scheut, Ungerechtigkeiten anprangert und keinen Funken Altersmilde spüren lässt. „Menschenfresser“ ist ein Biest von einem Album, dass die Vorfreude auf die Open Air-Saison nochmal steigert. Wir lassen schon mal das Dosenbier zischen. Wolfram Hanke (Ox, Zündfunk, Der kosmische Penis)


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